Der Kommentar einer eifrigen Leserin unserer Facebookseite, in welchem sie fragte, ob es Pluralis maiestatis sei, wenn wir in unseren Facebook- und Blogbeiträgen die Mehrzahl verwenden, gab die Anregung zu einer neuen Serie, in welcher wir einige Besonderheiten des Lebens im Kloster im allgemeinen und in unserem Orden im besonderen ein wenig erläutern möchten, denn vieles, was uns im Laufe unseres Ordenslebens ganz selbstverständlich geworden ist, ist für Außenstehende erklärungsbedürftig oder zumindest ungewöhnlich.
Ausgehend von der Frage unserer Leserin soll sich der erste Beitrag der neuen Serie mit dem Sprachgebrauch im Kloster befassen, der, wie jede Sondersprache, sei es nun Diplomatensprache oder Fußballerjargon, sei es juristische Fachterminologie oder Jugendsprache, seine Eigenheiten und Besonderheiten hat, wobei wir im klösterlichen Bereich neben dem Sprechen unbedingt auch dem Schweigen und der daraus folgenden Stille Beachtung schenken müssen. Auch oder vielleicht gerade in unserer so lauten Zeit entfalten Schweigen und Stille eine besondere Anziehungskraft auf viele Menschen, wie die große Aufmerksamkeit bezeugt, die Filme wie „Die große Stille“ über das Leben in einem Kartäuserkonvent oder das Buch „Die Stille“ von Kardinal Sarah erregen.
Das Schweigen soll uns vor unnützen Worten bewahren, vor denen uns Jesus in der Heiligen Schrift warnt: „Ich sage euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Matthäusevangelium 12,36). Es soll zugleich den Raum eröffnen, in dem Gott uns begegnen und zu uns sprechen kann, wie es in Psalm 101,2 heißt: „Wann kommst du zu mir? Ich lebe in der Stille meines Hauses mit lauterem Herzen.“, denn wenn wir beständig selber reden, können wir nicht hören, was Gott durch die leise Sprache unseres Herzens zu uns sagen möchte, und haben nicht die Muße, zu erwägen, was er uns durch die Worte der Heiligen und Propheten und vor allem durch sein Evangelium offenbaren will. In diesem Nachsinnen über das Wort Gottes und über seine Heilstaten ist uns die Gottesmutter Maria, die wir nach unserer Ordensregel in allen ihren Tugenden nachahmen sollen, das große Vorbild, denn über sie berichtet das Evangelium: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“
Die Erlöserregel ordnet über das Stillschweigen folgendes an:
SECHSTES KAPITEL
Christus setzt fest, wie und zu weichen Stunden die Klosterfrauen Stillschweigen beobachten sollen.
„Um den Ernst des Schweigens zu erhalten, soll von der ersten Frühe an bis nach Absingung der Messe meiner Mutter niemand etwas zu reden erlaubt sein. Nachdem diese Messe beendet worden, soll an gebührenden Orten zwischen den Tagzeiten, bis der Tischsegen gesprochen wird, Erlaubnis gegeben werden, über geistliche Erholung, Beobachtung der Regel des Ordens und andere notwendige Sachen zu reden. Leichtfertige und unnütze Worte sollen allezeit gänzlich gemieden werden. Wenn sodann die Danksagung in der Kirche gesprochen ist, können die Schwestern, bis die Vesper beginnt, miteinander reden. Dann soll, bis das Gratias nach dem Abendessen in der Kirche gebetet ist, das Stillschweigen sorgfältig beobachtet werden. Für die kleine Zwischenzeit zwischen dem Gratias und der Kollation ist die Erlaubnis gegeben, zu sprechen. Sobald die Kollation begonnen, soll mit allem Eifer das Stillschweigen gehalten werden, bis am folgenden Tage die gesungene Messe von meiner glorwürdigen Mutter beendet ist. Auch soll man wissen, wie zu allem erwähnten Stillschweigen die Schwestern ganz allgemein verbunden werden, diejenigen ausgenommen, welche zu solchen Verrichtungen verordnet sind, die ohne Sprechen nicht vollzogen werden können. Denn alles muß auf vernünftige Weise geschehen, damit die Gelegenheit zum Bösen abgeschnitten werde.“
Sowohl das Sprechen als auch das Schweigen haben also jeweils ihren Platz, sowohl räumlich als auch zeitlich. Beispielsweise ist auf den Gängen des Klosters das Sprechen grundsätzlich untersagt und auch an der Tür des Refektoriums (ein Fachausdruck, mit dem wir den Speisesaal bezeichnen, abgeleitet vom lateinischen reficere = wiederherstellen, also der Ort, an dem die Leibeskräfte durch Nahrungsaufnahme wiederhergestellt werden) mahnt ein Schildchen zu „Silentium“ (lateinisch für „Stillschweigen“).
Der in der Regel vorgegebene zeitliche Rahmen stammt noch aus der Epoche, als die tägliche Messe grundsätzlich morgens gefeiert wurde und nicht wie heute aufgrund der Erfordernisse des weltlichen Arbeitslebens vor allem an Wochentagen die Messe häufig auf den Abend verschoben wurde. Da unter den derzeitigen Umständen das Sprechen im Falle einer Abendmesse fast den ganzen Tag lang untersagt wäre, haben wir unsere Gepflogenheiten dahingehend modifiziert, dass die Erlaubnis zum Sprechen nach dem Ende des Bußpsalms „de profundis“, der täglich nach der Terz gebetet wird, erteilt wird. Dies geschieht mit der von der Äbtissin bzw. Priorin an die Gemeinschaft gerichteten Aufforderung „Benedicite!“, was im kirchlichen Sprachgebrauch „Segnet!“ heißt, wörtlich aber „Sprecht gut!“ bedeutet. Die Schwestern werden dadurch ermahnt, von der ihnen hiermit erteilten Erlaubnis zu sprechen in segensreicher Weise Gebrauch zu machen, und sie antworten darauf mit dem lateinischen Wort „Dominus“, also „Herr“, das heißt, ihr jeweils erstes Wort gilt Gott, um den sich auch ihr weiteres Denken und Sprechen wie ihr ganzes Leben drehen sollen. In gleicher Weise wird auch am Ende des Dankgebetes (in der Ordensregel mit dem lateinischen Wort „Gratias“ = „Dank“ bezeichnet) nach dem Essen die Erlaubnis zum Sprechen erteilt.
In manchen Orden und Klöstern entwickelte sich sogar eine regelrechte Zeichensprache pantomimischer Gesten, mit denen man beispielsweise den Nachbarn im Refektorium bitten konnte, das Salz oder den Wasserkrug herüberzureichen, ohne das Stillschweigen zu unterbrechen oder die Tischlesung zu stören.

Inschrift über der Tür zum Sprechzimmer. Das durch eine spätere Elektroinstallation leider teilweise überdeckte Zitat aus Psalm 48,4 (nach der hebräischen Zählung Psalm 49,4) lautet vollständig: „Mein Mund soll Weisheit reden, und meines Herzens Sinnen geb‘ ein kluges Wort.“
Nun aber zu dem Rätsel um die Verwendung der Mehrzahl: Es handelt sich (abgesehen davon, dass im konkreten Fall, wie es in Ordensgemeinschaften häufig vorkommt, tatsächlich ein Gemeinschaftswerk vorlag) natürlich nicht um Pluralis maiestatis, sondern im Gegenteil um den Pluralis modestatis, also die Mehrzahl der Bescheidenheit. Ordensleute, deren Leben zu allen Zeiten ein Gegenentwurf zu dem war oder zumindest sein sollte, was im säkularen Leben als bedeutsam und erstrebenswert angesehen wird, sollen sich in Demut und Bescheidenheit üben und nicht ihre eigenen Leistungen herausstreichen und Anerkennung oder gar Ruhm bei den Menschen suchen. Daher geziemt es sich nicht, dass sie von ihren Leistungen sprechen. Deshalb würde zum Beispiel eine Ordensfrau, selbst wenn sie die einzige im Kloster ist, die diese Arbeiten verrichtet, einem Besucher, der danach fragt, woher die Schwestern ihre Ordenskleidung beziehen, nicht sagen: „Ich schneidere alle Gewänder der Schwestern“, sondern: „Wir nähen alle unsere Kleider selbst.“
Desgleichen wurde es als unpassend empfunden, dass die Schwestern, da sie aufgrund ihres Armutsgelübdes ja kein Privateigentum haben, von „mein“ sprechen, wenn sie sich auf die Sachen beziehen, die ihnen von der Gemeinschaft zur Benutzung überlassen wurden, beispielsweise die Zelle, in der sie schlafen, oder das Gebetbuch, aus dem sie die Texte des Stundengebetes ablesen. Es wird sogar von einer Schwester berichtet, die diesen Grundsatz so verinnerlicht hatte, dass sie, die erst als Witwe in das Kloster eingetreten war, „unser Ehemann“ sagte, wenn sie von ihrem verstorbenen Gemahl sprach. Diese Ausdrucksweise ist für Außenstehende sicher gewöhnungsbedürftig, ist aber auch in anderen Klöstern Usus, so gehörte die eben zitierte Schwester gar nicht unserem Kloster an, sondern einer Benediktinerabtei. Ein Satz, den Sie aber sicher nur in einem Kloster unseres Ordens zu hören bekommen können, lautet: „Ich habe (bzw. nach dem vorhin gesagten: „wir haben“) die Kronen gebügelt.“ Was es damit auf sich hat, erläutern wir in einem der nächsten Beiträge dieser neuen Serie.