Passend zur in diesen Tagen zu Ende gehenden großen Fastenzeit vor Ostern möchten wir unsere Serie über das Leben im Kloster heute mit einem Beitrag über Fasten und Askese fortsetzen. Auch wenn heute Begriffe wie „Autofasten“, „Fernsehfasten“, oder „Internetfasten“ kursieren, um – durchaus erwägenswerte und sinnvolle – alternative Formen des Verzichts in der vorösterlichen Bußzeit zu bezeichnen, so bezieht das Wort „Fasten“ in seiner ursprünglichen Bedeutung ausschließlich auf eine Reduzierung der Nahrungsaufnahme, sei es in qualitativer oder quantitativer Hinsicht. Unsere Ordensregeln (die als Grundlage dienende Augustinerregel und die rechtlich gesehen lediglich eine Konstitution hierzu bildende Erlöserregel, siehe dazu den Beitrag über unseren Regelvater Augustinus) befassen sich mit dieser Thematik in erster Linie unter dem Aspekt der Nahrungsqualität. Zur Quantität äußert sich lediglich das vierte Kapitel der Augustinerregel, wenn es vorschreibt, dass über die gemeinschaftlichen Mahlzeiten hinaus keine weiteren Mahlzeiten eingenommen werden sollen:
„Abtötung in Speise und Trank
Das gemeinsame Mahl
Euer Fleisch bezähmt durch Fasten und Enthaltsamkeit in Speise und Trank, soweit es die Gesundheit erlaubt. Wenn aber eine nicht fasten kann, soll sie wenigstens außerhalb der Tischzeit keinerlei Speise zu sich nehmen, sie sei denn krank.“
So gelten also für uns im Hinblick auf die Nahrungsmenge die allgemeinen Vorschriften der Kirche, welche für Katholiken des lateinischen Ritus derzeit nur am Aschermittwoch und am Karfreitag eine Einschränkung in der Weise gebieten, dass an diesen beiden Tagen lediglich eine einzige Mahlzeit als Sättigungsmahlzeit eingenommen werden darf und dazu noch zwei kleinere Stärkungen, die zusammen nicht die Menge einer Sättigungsmahlzeit ausmachen sollen.
Umso detaillierter sind jedoch die Vorgaben der Erlöserregel zur Qualität der Nahrung, die in den verschiedenen Fastenzeiten sowie außerhalb derselben verzehrt werden darf:
NEUNTES KAPITEL
Christus ordnet Zeit und Art der Fasten unter den Klosterfrauen an.
„Im Advent sollen alle bei Fastenspeisen bis an meinen Geburtstag fasten. Am Freitage vor dem Sonntage Quinquagesima sollen sie anfangen, bei Fastenspeisen bis zum Osterfeste zu fasten. Vom Freitage nächst meiner Himmelfahrt bis zum Pfingstfeste sollen sie bei Fischen und Milchspeisen fasten. Vom Feste der Kreuzeserhöhung werden sie bis zum Feste des heiligen Michael bei Fischen und Milchspeisen fasten. Vom Feste Allerheiligen bis zum Advent werden sie bei Fischen und Milchspeisen fasten. An folgenden Tagen sollen sie bei Brot und Wasser fasten: nämlich vor den vier Festtagen meiner Mutter Maria der Reinigung, Verkündigung, Assumption und Geburt; an allen Apostelvorabenden (mit der Ausnahme, wo zwei Apostel in einem Feste zusammen gefeiert werden, z. B. Petrus und Paulus, Philippus und Jakobus, Simon und Judas, das eintägige Fasten für beide gilt); am Tage Johannis vor der Porta Latina, Johannis des Täufers und des heiligen Erzengels Michael, Allerheiligen, am Karfreitage und am Vortage meines Fronleichnamsfestes. An diesen Tagen sollen alle bei Brot und Wasser fasten. Doch soll man wissen, daß von allen Fasten die Kranken und Alten auszunehmen sind. Auch mit denen soll man Nachsicht haben, an denen man erkennt, daß sie für die Verrichtung ihrer Obliegenheiten wirklich zu schwach werden, wenn sie fasten. Zu den übrigen Zeiten des ganzen Jahres sollen sie in jeder Woche viermal Fleisch essen, nämlich am Sonntage, am Montage, Dienstage und Donnerstage. An diesen Tagen sollen sie zu Nacht Fische und Milchspeisen genießen. Am Mittwoch aber werden sie sich des Fleisches sowohl beim Mittags- als beim Abendessen enthalten. Es wird jedoch an diesem Tage erlaubt sein, von den Fischen und Milchspeisen zu genießen. An den Freitagen des ganzen Jahres werden sie in Fastenspeisen fasten. Außerdem sollen sie an allen anderen Fasttagen nach den Satzungen der Kirche fasten.“
Es gibt somit vier verschiedene Kategorien:
- Fleischtage, an denen mittagAugis Fleisch und jede andere Art der Nahrung gegessen werden darf (abends sind an diesen Tagen Milch und Fisch erlaubt, während das Frühstück überhaupt nicht geregelt ist, da ein solches früher nicht üblich war; Papst Nikolaus der Große schrieb im Jahr 866 an die Bulgaren sogar die dringende Mahnung, keinesfalls vor der Terz etwas zu essen und erwähnte insofern das Vorbild der Väter, die teilweise bis zur Sext, bis zur Non oder sogar bis zur Vesper fasteten)
- Fisch-und-Milch-Tage, an denen diese beiden Lebensmittel und alle weiteren Lebensmittel außer Fleisch und Ei, welches als flüssiges Fleisch galt und daher keine gesonderte Erwähnung findet, gegessen werden dürfen
- Fasttage, an denen nur Fastenspeisen, sprich ausschließlich pflanzliche Nahrungsmittel genossen werden dürfen (dass nur diese erlaubt sind, ergibt sich daraus, dass an den weniger strengen Fastentagen Fisch und Milchspeisen erlaubt sind, die folglich im Umkehrschluss an den Tagen, an denen keine solche ausdrückliche Erlaubnis erteilt wird, nicht erlaubt sind; außerdem stammt unsere Ordensregel aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, als tierische Produkte während der Fastenzeiten ganz allgemein nicht gegessen werden durften – die Erlaubnis für den Verzehr von Milchprodukten wurde erst Ende des 15. Jahrhunderts von Papst Innozenz VIII. erteilt und die Erlaubnis für Eier im 16. Jahrhundert von Papst Julius II.; die deutschen Bischöfe haben Anfang des 20. Jahrhunderts sogar eine Dispens für Schmalz, Grieben und Fleischbrühe erwirkt, sodass hierzulande außer dem Muskelfleisch warmblütiger Tiere mittlerweile praktisch alles erlaubt ist)
- Brot-und-Wasser-Tage, an denen ausschließlich diese beiden Grundnahrungsmittel verzehrt werden dürfen.
Soweit diese Ordnung nicht durch dazwischentretende Feste und Vigilfasten (so nennt man das Fasten am Vortag von großen kirchlichen Festen; der Name ist abgeleitet vom lateinischen „Vigilia“ = Nachtwache, weil diese Feste zumindest in früheren Zeiten liturgisch durch nächtliche Gebete und Gottesdienste eingeleitet wurden, wovon in der Westkirche fast nur noch die Mitternachtsmette an Weihnachten und die Feier der Osternacht übriggeblieben sind, während die Ostkirche noch vor einer ganzen Reihe von Festen zumindest in den Klöstern die sogenannte Agrypnie zelebriert) durchbrochen wird, sind somit die Fleischtage Sonntag, Montag, Dienstag und Donnerstag, die Fisch-und-Milch-Tage Mittwoch und Samstag und die strengeren, rein vegetarischen Fasttage alle Freitage. Fällt auf einen Fleischtag ein Vigilfasten, so wird bei Brot und Wasser gefastet, sofern es sich nicht um einen Sonntag oder ein Fest handelt. Fiele ein Vigilfasten auf einen Sonntag oder ein Fest, so wird es auf den Tag vorher verlegt. Fällt auf einen Fisch-und-Milch-Tag ein Fest oder Hochfest, so ist Fleisch erlaubt, während an einem Freitag oder Fasttag in den beiden großen Fastenzeiten nur dann Fleisch erlaubt ist, wenn es sich um ein Hochfest handelt. Handelt es sich lediglich um ein Fest, so gibt es statt des Festtagsbratens nur einen Festtagsfisch.
Dies rührt daher, dass Freitag der Tag ist, an dem unser Heiland Jesus Christus zu unserer Erlösung am Kreuz gelitten hat und gestorben ist. Am Mittwoch wird das Fasten – beispielsweise in dem bereits erwähnten Brief Nikolaus‘ des Großen – damit erklärt, dass Judas Iskariot Jesus an diesem Tag verraten hat. Samstag ist der Tag, den unser Heiland im Grab verbracht hat und daher nicht bei den Seinen war. Bereits im Evangelium kündigte er, als ihn die Jünger des asketisch strengen Johannes des Täufers (dieser ernährte sich ausschließlich von Heuschrecken und wildem Honig) fragten, warum seine Jünger nicht fasteten, an, dass sie fasten würden, wenn er nicht mehr bei ihnen sein werde: „Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten.“ (Matthäusevangelium 9,15). Außerdem ist der Samstag der Vigiltag des Sonntags, sodass sich dieses Fasten auch als Vigilfasten darstellt.
Weil die Passion unseres Herrn von diesen drei Ereignissen das schwerwiegendste ist, ist auch der Freitag der strengste Fasttag und heutzutage auch der einzige, der in der westlichen Kirche noch von allen Gläubigen gefordert wird, während das Fasten am Mittwoch und am Samstag nur noch auf Sondervorschriften basiert wie beispielsweise dem Gebot für Träger des Skapuliers, sich außer am Freitag auch am Mittwoch und am Samstag des Fleisches zu enthalten.
In der Ostkirche wird weiterhin am Freitag und am Mittwoch gefastet, während das Fasten am Samstag zumindest laut der Biographie des Patriarchen Photius im byzantinischen Synaxarium strikt abgelehnt wird. Den Grund dafür kennen wir nicht und wir würden uns freuen, wenn vielleicht einer unserer Leser ihn weiß und uns mitteilt. Oder liegt es nur an einer grundsätzlichen Reserviertheit gegenüber der Einführung neuer Gebräuche? Das Fasten am Mittwoch und am Freitag ist nämlich älter und findet sein Vorbild bereits bei den Pharisäern, die ebenfalls zweimal in der Woche fasteten, vergleiche Lukasevangelium 18,12, während das Fasten am Samstag erst später hinzukam.
Bis sie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts weitgehend außer Gebrauch kamen, waren auch die viermal jährlich (nämlich nach dem Fest der heiligen Luzia, also in der dritten Adventswoche, nach dem Aschermittwoch, also in der ersten Fastenwoche, in der Pfingstwoche und in der Woche nach dem Fest der Kreuzerhöhung) gehaltenen Quatembertage mit dem Fasten am Mittwoch, Freitag und Samstag verbunden.
Außer den einzelnen Wochentagen, an denen gefastet werden soll, gibt es noch längere zusammenhängende Fastenzeiten, nämlich die vorösterliche Bußzeit, in der wir uns jetzt befinden, und den Advent, in denen bei Fastenspeisen zu fasten ist, sowie drei weitere Fastenzeiten, in denen Fisch und Milchspeisen erlaubt sind, nämlich das Pfingstfasten zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, das Kreuzerhöhungsfasten zwischen dem Fest der Kreuzerhöhung und dem Fest des Erzengels Michael und das Allerheiligenfasten zwischen dem Hochfest Allerheiligen und dem Beginn des Advents.
Unsere Ordensregel erweist sich somit im Hinblick auf die Fastenvorschriften als von mittlerer Strenge. Sie liegt zwischen den Regeln der meisten aktiven Ordensgemeinschaften, die im Hinblick darauf, dass ihre Mitglieder durch ausreichendes Essen bei Kräften bleiben müssen, um dem Nächsten dienen zu können, häufig nicht über die allgemeinen kirchlichen Fastenvorschriften hinausgehen, und den Regeln besonders strenger kontemplativer Orden wie beispielsweise der Trappisten, die grundsätzlich niemals Fleisch, sondern – und auch das nur an Hochfesten –allenfalls Fisch essen, oder der Kartäuser, die eine durchgängige Fastenzeit von Kreuzerhöhung bis Ostern einhalten, in der sie nur eine einzige Mahlzeit am Tag zu sich nehmen.
In der ganz allgemein für ihre monastische Ernsthaftigkeit und asketische Strenge berühmten Ostkirche sind darüber hinaus noch weitere Einschränkungen anzutreffen, wie das Verbot von Öl oder von gekochter Nahrung. Unser Regelvater Augustinus weist in seiner Schrift „De opere monachorum“ (also „Über das Werk der Mönche“) darauf hin, dass die Mönche das ganze Jahr über auf den Feldern Früchte, Kräuter und Wurzeln finden können, die auch ungekocht auf der Stelle genießbar sind, schreibt in seiner Regel aber nicht vor, dass die Ordensleute sich auf diese Art der Rohkost beschränken müssten. Dennoch kennt die so vielfältige und reiche Kirchen- und Ordensgeschichte auch diese Form der Askese: Eine Gruppe armenischer Mönche des Klosters Surb Karapet in Innaknian, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts das Martyrium erlitten und am Montag nach dem fünften Sonntag nach Kreuzerhöhung als Heilige gefeiert werden, wurden unter dem Namen „herbivore (also kräuteressende) Einsiedler“ bekannt, und im hochmittelalterlichen Roman „Parzival“ des Minnesängers Wolfram von Eschenbach tritt als Lehrmeister des Titelhelden ein Einsiedler namens Trevrizent auf, der die Wurzeln, die ihm als Nahrung dienen, niemals gekocht verzehrt.
Zum Abschluss noch ein Rezept für eine in unserem Kloster gebräuchliche Fastenspeise, die „Schwarzen Nudeln“: Man gießt in eine Schüssel voller Mehl unter Rühren bzw. Kneten so lange Wasser hinzu, bis ein fester Teig entsteht (er darf nicht so weich werden, dass er an den Händen oder der Schüssel klebenbleibt), und salzt das ganze nach Belieben. Dann dreht man den Teig durch eine Nudelmaschine und röstet die Nudeln in einer Pfanne mit Öl so lange, bis sie dunkel geworden sind.